Leseproben
Yonggang Liu
Élan Vital als kalligraphischer Impuls
von Dr. Melanie Franke,Kunsthistorikerin und Kuratorin, Berlin
Yonggang Lius Verehrung für einen Vertreter der europäischen
Moderne, für Max Beckmann, führte den chinesischen Künstler nach
Deutschland. Mit dem Maler verbindet ihn eine stark ausgeprägte
Symbolsprache, derer sich beide auf unterschiedliche Weise
bedienen. Max Beckmann vermochte durch Symbole und Zeichen,
zumeist aus der christlichen Ikonographie, die Wirklichkeit in
die Kunst hinüber zu retten und auf diese Weise das Leben
verschlüsselt wieder zu geben. Das Elend der Nachkriegszeit und
Katastrophenszenarien sondergleichen fanden in seinen Bildern
Niederschlag. Mit Pathos verlieh er der Gegenwart eine beinahe
sakrale Dimension, die neben aller Symbolik besonders durch
seine Malweise geschaffen ward: Aus schwarzen Konturlinien als
Bleistift oder Kohlestrich gehen Beckmanns Figurationen hervor;
das Schwarz verleiht ihnen Kraft und Wucht. Es ist die Präsenz
dieser Linien, die Yonggang Liu auch mit dem großen Maler der
Moderne verbindet, denn die gewinnen in der Kalligraphie
vollkommene Autonomie, breiten sich unbändig aus und finden
Formen eigener Art, auf die ich noch zu sprechen komme.
Beide Künstler malen gleichermaßen figürlich wie abstrakt, denn
obwohl Beckmann in seinen virtuosen Zyklen am Narrativen
festhielt, gelangt es ihm eine Art .ästhetische Distanz' der
Wirklichkeit gegenüber einzunehmen, gleiches kann für Liu
Yonggang gesagt werden, mit dem Unterschied allerdings, dass Liu
Yonggang Symbole findet für die Liebe zum Leben: Drache und
Vogel. Diese Zeichen stehen für das männliche und weibliche
Prinzip, stehen für Yin und Yang.
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Interpretation von »Ewigkeit« – Werke des Künstlers Yonggang Liu
von Xu Encun
Kunsthistoriker, Kunstkritiker, Chefredakteur der Zeitschrift
»Chinesischen Kunst«
Herausragende Künstler und ihre Werke begegnen uns immer zu
einem ganz bestimmten Zeitpunkt, in einem bestimmten kulturellen
Kontext, an einem bestimmten Punkt der Geschichte. Sie prägen
dann selbst die Geschichte der Kunst entscheidend mit, wirken
über die Gegenwart hinaus und werden dadurch zeitlos und
unvergänglich.
Das Besondere des künstlerischen Schaffens liegt im Ringen um
den individuellen Ausdruck und unverwechselbaren Stil. Die
Geschichte zeigt, dass großartige Kunstwerke auch immer mit den
Dingen des Lebens, dem Forschen nach dem Sinn der menschlichen
Existenz und mit der Abstraktion des Themas der »Ewigkeit«
verbunden sind. Kunst beschäftigt sich mit unseren Idealen,
Zielen und Grundwerten des Zusammenlebens und bleibt so
menschlich, lebendig und vital. Dabei kann die
Auseinandersetzung mit der »Ewigkeit« als Summe künstlerischen
Schaffens betrachtet werden, die unsere Herzen tief berührt. Die
Arbeiten eines Künstlers gehen aber weit die Beschreibung von
Dingen hinaus, sie übermitteln auch immer eine Botschaft über
das Leben. Sie verschmelzen zu einem einheitlichen Ganzen, wenn
der Künstler Gefühle und Gedanken in seiner eigenen Sprache
zusammenfügt - egal ob konkret oder abstrakt, kompliziert oder
einfach.
Yonggang Liu hat sich seit den 1980er Jahren einen Namen als
Maler gemacht und seine künstlerische Begabung durch sein
vielseitiges und umfangreiches Schaffen in den vergangen zwei
Jahrzehnten unter Beweis gestellt. Seine Arbeiten stoßen in
China und Europa auf großes Interesse. Er zählt inzwischen zu
den bekannten und anerkannten Persönlichkeiten der
internationalen Kunstszene. Yonggang Liu stammt aus der Inneren
Mongolei. Nach dem Studium an der Zentralen Kunstakademie in
Beijing überraschte er die chinesische Kunstwelt mit seinem
Ölgemälde »Schäferin aus Beisala«. Mit diesem Werk entwickelte
er seine eigenständige künstlerische Sprache. Durch die Art und
Weise der räumlichem Konstruktion, die kräftigen Farben und die
bildlichen Zeichen brachte der Künstler frischen Wind in die
chinesische Kunst der späten 80er Jahre, die sich zu dieser Zeit
noch in einem schwierigen Umfeld bewegte...
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