Sehr geehrte Damen und Herren,
Zur Vernissage der Ausstellung Torsi und andere Figuren von
Waldemar Otto aus Worpswede heiße ich Sie alle herzlich
willkommen, besonders aber den ausstellenden Künstler: ich
begrüße Herrn Waldemar Otto.
Plastiken von Otto sind nicht zum ersten Mal in Berlin zu sehen:
bis zur Aufgabe des Betriebes stellte die Galerie Hartmann + Noé
sie regelmäßig aus und im Jahre 2002 zeigte die Galerie im
Berliner Willy-Brandt-Haus eine um-fassende Ausstellung seines
Schaffens.
Nachdem ich mich in meiner Galerietätigkeit in den vergangenen
Jahren verstärkt der figürlichen Plastik zuge- wandt habe, ich
erinnere an die Ausstellungen Fritz Cremer, Waldemar Grzimek,
Gustav Seitz, Ludwig Kasper, Richard Heß noch in der Galerie am
Wasserturm, und Inge Hunzinger zu Beginn des Jahres hier am
Gendarmen- markt, lag es nahe, mich um Waldemar Otto zu bemühen,
was mir ja nun mit der heutigen Eröffnung gelungen ist.
Als ich im Jahre 2000 die große Ausstellung DER TORSO gemacht
habe, mit 32 Torsi von 32 Bildhauern, war Waldemar Otto noch
nicht dabei, warum, kann ich gar nicht sagen, nur er hätte dazu
gehört. Heute nun haben wir diese Ansammlung seiner Torsi um
uns, drei sind aus den sechziger Jahren, die anderen sind
zwischen 1996 und 2003 entstanden.
Die Ausstellung überspringt also fast dreißig Jahre seines
Schaffens. Und wer Otto kennt, kennt ihn sicher in erster Linie
mit Werken aus dieser Zeit, als er das Abbild der menschlichen
Figur konfrontierte mit Wänden, Kä- sten, Rastern oder Portalen.
»Weibliche Figur zwischen den Wänden«, »Figur aus ihrer
Vorprägung heraus- tretend«, »Mann im Gerüst«, »Großer alter
Mann vor parallelen Wänden«, »Mann aus der Enge heraustretend«
oder »Drehtür« sind beispielhafte Titel bzw. Themen seiner
Plastiken aus jenen Jahren. In dieser Zeit hat er für sich die
plastischen Mittel der Bildhauerei dadurch erweitert, dass er
sich nicht auf die weibliche oder männliche Figur ob nackt oder
bekleidet, beschränkte, er erweiterte seine
Ausdrucksmöglichkeiten entschieden. Auch die Bearbeitung
mythologischer Themen durch Waldemar Otto in jenen Jahren zeigt
die Ausstellung nicht. Sie stellt die ganz frühen Arbeiten dem
Alterswerk gegenüber - den Begriff Alterswerk benutze ich mit
ausdrücklicher Erlaubnis von Herrn Otto -, das Woher und Wohin
des Bildhauers Otto aufzuspüren, darum geht es dieser Aus-
stellung.
Geboren ist er am 30. März 1929 in Petrikau, dem heutigen Polen.
1945 flieht die Familie nach Halle an der Saa- le, wo er 1945 in
den Franckeschen Stiftungen das Abitur ablegt, danach beginnt er
sofort mit dem Studium der Bildhauerei an der Hochschule für
bildende Kunst in Berlin bei Alexander Gonda. Zur gleichen Zeit
lehrten dort Richard Scheibe, Waldemar Grzimek und Gustav Seitz.
1954/1955 erhält Otto ein Jahresstipendium des DAAD in Florenz.
1955 beginnt seine freischaffende Tätigkeit in Berlin. 1963 bis
1965 lehrt Otto an der University of Notre Dame in Indiana in
den USA. 1965 bis 1972 lebt er wieder in Berlin bis er den Ruf
als Professor an die Hochschule für Künste in Bremen erhält.
Seitdem lebt er in Bremen bzw. dann in Worpswede.
Die frühen Torsi, um wieder auf die Ausstellung zurückzukommen,
sind stark expressive Sinnbilder, bedrückende Gesten äußerster
Verletztheit, Bilder der Zerstörung, die Torsierung des Körpers
als bewusstes Zerschneiden einsetzend. Diese Torsi entstanden in
jenen Jahren, als Waldemar Grzimek seinen »Stürzenden«, seinen
»Gefäll- ten« oder seinen »Geblendeten Michael« modellierte, als
Gustav Seitz sich mit dem »Geschlagenen Catcher« beschäftigte
und als Fritz Cremers Plastik für das UNO-Gebäude in New York
ein ?Fallender? wurde, obwohl er den Auftrag hatte, einen
»Aufsteigenden« zu formen. In den Geist jener Zeit reihen sich
die frühen Torsi in würdiger Weise ein. Sie waren Ausdruck einer
diffusen Angst, wie Otto es selbst einmal formulierte. Später
erst thematisierte er die Bedrängung konkreter. Von Beginn an
war der Wunsch vorhanden, etwas von der Befind- lichkeit des
Menschen, vom individuell Erlebten oder Erlittenen mitzuteilen.
Auch in einer Zeit, als man weithin einer der menschlichen Figur
oder der Realität verpflichteten Bildhauerei die
Existenzberechtigung absprechen wollt, blieb Otto diesem Wunsch
treu. Es war typisch für ein weit verbreitetes Denken jener
Zeit, um einmal eine Anekdote einzuflechten, dass der Berliner
Bildhauer Hartung als Vorsitzender einer Jury für einen
Wettbewerb zu einem öffentlichen Auftrag gesagt haben soll: »es
riecht nach Menschenfleisch«, als Waldemar Grzimek seinen
Wettbewerbsbeitrag vorstellte.
Heute formt Waldemar Otto seine Menschenbilder nicht mehr aus
Gips oder aus Ton, er formt sie aus vier bis fünf Millimeter
starken Wachstafeln, die er, durch die Handwärme geschmeidig
geworden, drückt, wölbt oder biegt. Anfangs entstehen auf diese
Weise männliche, später auch weibliche Torsi, durch die Leiber
spürt man noch das Rohr der gebogenen Wachsplatte, nur ganz
sparsame Wölbungen charakterisieren Brust, Bauch oder Po. Diese
äußerste Reduktion gipfelt in einer Figur mit dem Titel
»Hermes«, einem männlichen Torso, bei dem Otto die ganze
Männlichkeit auf eine leichte Wölbung des Bauches und eine
winzige Ausbuchtung darunter beschränkt. Mehr braucht es nun
nicht mehr, um die Männlichkeit zu charakterisieren, spezielle
Themen schon gar nicht.
Und dennoch verfolgt Otto immer noch sein Ziel, die
Befindlichkeit des Menschen in Form zu bringen. Eine leich- te
Drehung im Körper, ein kleiner Knick in der emporstrebenden
Figur oder eine Achsenverschiebung der Schul- tern vermitteln
Zweifel, Zurückweichen oder Unsicherheit. So gewinnen die
reduzierten Volumina unvermutete Spannungen. Die Torsierung wird
zur Quintessenz des Körperlichen an sich. Die Gusshaut, die Otto
nun stehen lässt, strahlt Wärme und Weichheit aus, feine
Ritzungen in der in der Oberfläche sind grafische Zeichen oder
Risse oder beides zugleich. Mitunter sieht man noch die Naht der
aneinander gebogenen Wachstafeln, als könne der Körper auch
bersten. Ein Gefühl der Unentschiedenheit zwischen der Huldigung
eines harmonischen Körpers und dem Aufzeigen seiner Verletzungen
bleibt.
Die so reduzierten Torsi von Otto schließen nahtlos an seine
frühen expressiven Figuren an. Verändert hat sich die Direktheit
und Konkretheit, die Vehemenz und Eindringlichkeit. Gewichen
sind diese einer großen Gelassen- heit, einer viel allgemeineren
Weisheit, einer die Zeiten überdauernde ewige Fragestellung nach
dem Wohin und Warum. Das bildhauerische Streben scheint sich
erfüllt zu haben, es strebt seiner Vollendung entgegen. Diesen
Gedanken will die Ausstellung mit der Gegenüberstellung der
frühen Torsi zum Alterswerk, um diesen Begriff noch einmal zu
verwenden, vermitteln. Ich hoffe, sie tut es.
Weitere Ausstellungen zu einzelnen Werkphasen von Waldemar Otto
werden folgen. Die »Gewandfiguren«, von denen eine schon jetzt
zu sehen ist, werden sicher die nächste Ausstellung bestimmen.
Heute aber lassen Sie sich, sehr geehrte Damen und Herren von
den Torsi und anderen Figuren von Waldemar Otto einladen zum
Sinnieren über sich, über die anderen, über alles eigentlich.
Viel Freude dabei!
Dr. Wilfried Karger |