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                 Nicht erst seit seiner großen Retrospektive, die ihm von der Eremitage in St. 
Petersburg
1997 als dem ersten deutschen zeitgenössischen Künstler ausgerichtet wurde,
zählt Waldemar Otto zu den bekanntesten an die Traditionen deutscher 
Bildhauerkunst des 19. und 20. Jahrhunderts anknüpfenden Plastikern. 
In Berlin bislang von der Galerie Hartmann+Noé vertreten, zeigt nun die Galerie 
am Gendarmenmarkt erstmals eine Ausstellung seiner Werke, allerdings mit einer 
ganz ungewöhnlichen Auswahl. 
Sie stellt in direkter Konfrontation seine frühen Torsi aus den sechziger Jahren 
den Torsi aus dem Alterswerk gegenüber. 
Jene Figuren also, mit denen Waldemar Otto in erster Linie bekannt wurde und die 
in den siebziger und achtzi- 
                ger Jahren in Kombinationen mit Wänden, Kästen, 
Rastern bzw. Portalen weit über das hinausgingen, was in der deutschen Plastik 
bis dahin geleistet worden war, lässt diese Ausstellung konsequent aus. 
Anders als eine Retrospektive, die eine in sich schlüssige künstlerische 
Entwicklung aufzuzeigen gewillt ist, wer-den Früh- und Spätwerk als zwei 
Pole gegenüber gestellt. 
Die frühen Torsi sind expressive Sinnbilder, bedrückende Gesten äußerster 
Verletztheit, Bilder der Zerstörung und der Angst, die Torsierung des Körpers 
als bewusstes Zerschneiden gestaltet. Sie waren nach Aussage von Otto »Ausdruck 
diffuser Angst«, bevor die Bedrängung später konkreter thematisiert wurde. 
Im Spätwerk verknappt Otto die bildnerischen Mittel total. Ausgehend vom 
Modellieren mit rechteckigen vier bis fünf Millimeter starken Wachsplatten, durch Handwärme 
geschmeidig gemacht, durch Druck gewölbt, gebogen, kommt er zu allgemeinsten 
Ausdrucksformen menschlicher Körper, anfangs vorwiegend männlicher, dann auch 
weiblicher Torsi. 
Er verzichtet nun ganz auf spezielle Themen. 
Man spürt durch den Leib noch das zylindrische Rohr, der Hals bleibt offen. 
Die Torsierung wird nun zur Quintessenz des Körperlichen an sich. Doch die 
reduzierten Volumina gewinnen unvermutete Spannungen, ein leichter Knick 
erreicht 
die Dimension eines existenziellen Zweifels, eine leichte Drehung im Körper die 
Größe einer grundsätzlichen Infragestellung und eine leichte Achsenverschiebung 
ein Zurückweichen vor dem Kommenden. 
Feine Ritzungen in der weich scheinenden Oberfläche der Gusshaut, die Otto nun 
stehen lässt, sind grafische Zeichen und Risse zugleich. 
Alle Schaffensperioden Waldemar Ottos sind geprägt von dem Wunsch, etwas von der 
Befindlichkeit des Men- schen, individuell Erlebtes oder Erlittenes mitzuteilen. 
Sein fast fünfzigjähriges bildhauerisches Schaffen vollzog sich dabei auch in 
Konfrontation zu jenen  
Strömungen, die einer der menschlichen Figur oder der Realität verpflichteten 
Bildhauerei
die Existenzberechti- gung absprachen. Als veränderlich erweisen sich dabei die Direktheit und Konkretheit, die Vehemenz und Ein- dringlichkeit, die einer großen 
Gelassenheit, einer viel allgemeineren Weisheit und damit einer die Zeiten 
über- dauernden Fragestellung nach dem Wohin und Warum weichen. 
Formal ist es die Gegenüberstellung der künstlerischen Verallgemeinerung der 
konkreten Form der Natur in den frühen Arbeiten und der Konkretisierung der 
abstrakten Form der Wachsplatten durch Drücken und Ausbuchten zu den Wölbungen 
menschlicher Leiber. 
Diese Spannung im bildhauerischen Werk von Waldemar Otto versucht die 
Ausstellung in der Galerie am Gendar- menmarkt mit Hilfe der Polarisierung 
zwischen Früh- und 
                Spätwerk hervorzuheben. 
Neben der Plastik wird auch eine kleine Auswahl 
an Radierungen gezeigt. 
                Die Preise der Plastiken liegen zwischen 1 500 – und 60 000, die 
                der Grafiken zwischen 180 und 240 ?. 
Das Katalogbuch, erschienen aus Anlass der 
                Ausstellung in der Eremitage 1997 mit einem Überblick über das 
                künstlerische Schaffen von Waldemar Otto auf 240 Seiten, ist in 
                der Ausstellung für 25 – zu erwerben. 
                vollständige Rede zur Eröffnung der Ausstellung
                
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