Der Bildhauer, Zeichner und Grafiker René Graetz, der 1946 von
London in den Osten Deutschlands geht, um sich hier für neue
gesellschaftliche Verhältnisse zu engagieren, gehört zu jener
Künstlergeneration, die trotz einzigartiger Leistungen in der
gegenwärtigen Rückschau auf die Kunst des 20. Jahrhunderts in
Deutschland eher in Vergessenheit geraten sind, als dass ihr
Werk präsent ist.
Bei René Graetz ist dieser Tatbestand u. a. auch darauf
zurückzuführen, dass er immer ein Suchender geblieben ist,
voller innerer Widersprüche, und als Bildhauer erst mit den »Upright
Figures« zu Beginn der Siebzigerjahre alle ihn quälende Zweifel
beiseite schiebt und den in ihm zutiefst verankerten Impuls zur
freien Formentfaltung folgt. Spät also findet er erst sein
eigenes künstlerisches Programm .
Anfangs versucht er im Osten Deutschlands gemeinsam mit
Künstlerkollegen wie Horst Strempel, Arno Mohr, Fritz Cremer,
Gustav Seitz, Waldemar Grzimek, Theo Balden oder Herbert
Sandberg sich gegen eine volkstü-melnde, auf vordergründige
Pathetik eingestellte Kulturpolitik der SED zur Wehr zu setzen.
Seine Beteiligung an Wandbildaufträgen in Hennigsdorf und
Ballenstedt lösen heftige Diskussionen aus. Beteiligt war er
auch an der Gestaltung der Gedenkstätten in Buchenwald und
Sachsenhausen.
Graetz leuchtet mit seinen plastischen Werken jene Intentionen
weiter aus, die aus einer starken Bindung an die Realität
versuchen vorzustoßen zu einer verknappten, sinnstiftenden
Körperlichkeit, die Formerfahrungen der Moderne durchaus
verarbeitend.
1957, nach eine Italienreise schreibt er:
»Wir müssen lernen, unserer großen Tradition zu vertrauen. Wie
viel weiter wären wir heute in der bildenden Kunst, wären wir
mutiger gewesen, hätten wir mehr im Geiste der Unabhängigkeit
gearbeitet, unserer eigenen Tradition, dem Expressionismus
folgend, der unsere nationale Form des Realismus ist.«
Dies stößt einerseits auf den oben beschriebenen Widerstand,
andererseits verhindert sein Festhalten an der menschlichen
Figur sein inneres Streben zur freien Formentfaltung,
angeregt sicher durch seine Begegnungen mit Henry Moore in
London bzw. durch seine Auseinandersetzung mit Pablo Picasso,
Jacob Epstein und Marino Marini.
Mit den »Upright Figures« Anfang der Siebzigerjahre stößt er
endlich vor zu jener freien zeichenhaften Gestal- tung, die
losgelöst von der menschlichen Gestalt eine starke innerliche
Plastizität erzeugt. Diese ganz von Wachstum durchdrungenen,
sich energisch nach oben schraubenden Formen sind Sinnbild der
Aktivität des sich energischen Aufrichtens.
Die Skulptur verwandelt sich in ein plastisches Lebenszeichen.
Auch wenn René Graetz sich nach diesen Figuren wieder der
menschlichen Gestalt zuwendet, hat er doch das Gefühl einer
neuen, gestalterischen Freiheit gewonnen.
Diese Widersprüchlichkeit ist prägend für das plastische
Schaffen von René Graetz, aber auch Ausdruck der Zeit und ihrer
Verhältnisse.
In der Grafik operiert Graetz schon seit den Sechzigerjahren mit
einer stark verallgemeinernden Gestaltungs-weise, nutzt eine
abkürzende Zeichensprache und Symbole.
In den letzten Jahren bedient er sich insbesondere zweier
Motive, des Phönix und der roten Leiter. Gerade in den farbigen
Siebdrucken zu diesen Themen schafft er eine einzigartige
Verschmelzung dekorativer und meta- phorischer Elemente in der
Grafik.
Gabriele Mucchi schrieb für René Graetz nach dessen Tod:
»Er hatte Gegner. Sein Werk wurde kritisiert, beiseite gelassen,
ignoriert. Von Wem? Kein Zweifel: von denen, die Blätter
gedruckten Papiers vor den Augen haben und mit den Ohren gucken.
Doch sein Werk wurde auch geschätzt, gelobt, geliebt. Von Wem?
Kein Zweifel: von denen, die die Wahrheit lieben, von den
Dialektikern, von den wagenden Mutigen. Und vor allem von jenen,
die Poesie und Großzügigkeit lieben.«
Ausstellung mit Unterstützung von Patrick Graetz, Kunstarchiv
René Graetz und Elizabeth Shaw
weiterführende Informationen im Internet:
www.artgraetz.com |