Ronald Paris – Ein Realist – Malerei und Zeichnungen
Ausstellungseröffnung Galerie am Gendarmenmarkt, Berlin am 2.
April 2009
Im vergangenen Jahr konnte man in Ausstellungen in
Sondershausen, seiner thüringischen Geburtsstadt, in Schwerin
und Potsdam Einblicke in das künstlerische Lebenswerk von Ronald
Paris gewinnen, das der Maler selbst unter das Motto »Lob des
Realismus« gestellt hatte. Und auch ein Jahr später am Berliner
Gendarmenmarkt lautet der Untertitel der Exposition »Ein
Realist«.
In diesem selbstbewusst-trotzigen Bekenntnis wird eine
künstlerische Haltung angemahnt, die im vergangenen Jahrhundert,
dem 20., und bis heute immer mal wieder angezweifelt, als
unzeitgemäß verschrien und als ausgedient abgetan wurde. Für die
bundesdeutsche Kunstszene der 2/3 Jahrzehnte nach 1945 benennt
man das inzwischen als das »Diktat der unverbindlichen
Ungegenständlichkeit der Nachkriegsjahre«. Wer jene
Retrospektive zum 75. Geburtstag des Malers Ronald Paris über
fünf Jahrzehnte seines Schaffens betrachtete, gab seinem
Beharren Recht: Mit der Bildsprache des figurativ
Gegenständlichen, dem Formenkanon aus Dingwelt und Natur, lassen
sich Botschaften über den Menschen an den Menschen vielschichtig
und am eindringlichsten vermitteln. Ein hoher humanistischer
Anspruch, »Werte von großer Allgemeingültigkeit«, wie Paris es
für sich benannt hat, sind seinem Schaffen immanent. Dabei hat
ihn sein Sinn für die Widersprüche und Konflikte der Historie
und unserer Zeit und für deren dramatische Kulminationen immer
besonders herausgefordert: »Ich muß auf wesentliche Vorgänge
aktiv reagieren«. Sein Zwang zur Aussage, zur Mitteilung, der
Wille und die Fähigkeit sich darzustellen, wurden ihm häufig
attestiert. So war und ist dieser Maler als Künstler stets ein
politischer Mensch, ist Kunst für ihn anteilnehmende, d. h.
Partei ergreifende Weltbetrachtung. Der dramatische Wandel der
Zeitläufe hat ihn darin eher bestärkt als beirrt.
Paris hat schon als junger Maler bekannt, dass für ihn alles
malbar sei, was ihn bewege. Hauptsache sei, dass er sein
Anliegen in einer gültigen Entsprechung loswerde. Immer strebt
er eine geistige Verdichtung durch Ideenreichtum und
Formerfindung« an. So hat es endgültig festgelegte Normen seines
Realismus nie gegeben. Die bildnerische Form, die
Gestaltungsmittel richten sich für ihn danach, eine
entsprechende humanistische Aussage zu erreichen, die das Werk
erst als Kunstwerk legitimiert: »Die Aussage rechtfertigt die
Mittel«. Dieser Punkt erscheint ihm dann erreicht, wenn Farbe
und Form sich mit dem Geistigen vereinen, egal ob es sich um ein
Stillleben oder eine Landschaft, ein Porträt, eine thematische
Figurenkomposition oder um ein monumentales Wandbild handelt.
Schaut man heute auf dieses halbe Jahrhundert malerischer
Arbeit, sind diese Ansprüche, die Prozesse und Wandlungen im
Realismus dieses Oeuvres bemerkenswert. Dabei ist uns natürlich
bewusst, dass es sich hier weitgehend um ein Kapitel
ostdeutscher Gegenwartskunst handelt, über vier Jahrzehnte lang
um »Kunst der DDR« und somit um politische und gesellschaftliche
Ideale, Sichtweisen und Doktrinen, auch Utopien, die
Reibungsflächen genug boten für differenzierte Ausprägungen
realistischer Kunst zwischen Berliner und Leipziger Schule und
dem Sensualismus Dresdner Prägung, zwischen den Ateliers in den
vermeintlichen gesellschaftlichen Rückzugsfeldern entlang der
Ostseeküste oder im Erzgebirge. Wenn man Ronald Paris in seiner
malerisch-stilistischen Entwicklung kaum jemals eindeutig einer
Gruppierung zuordnen kann, letztlich begrenzt im Frühwerk der
Berliner Schule, spricht auch das für seinen individuellen Drang
nach originären Themen, Form- und Ausdrucksmitteln. 1983
bescheinigte Lothar Lang dem Maler zum 50. Geburtstag in der
»Weltbühne« ein Beispiel für den »spezifischen Realismus« in der
DDR zu sein. Von »sozialistisch« war da schon nicht mehr die
Rede.
Wenn es eine ursprüngliche geistige Heimat seines künstlerischen
Selbstfindungsprozesses gibt, so sind das jene Ostberliner Jahre
seit dem Weißenseer Studium bei seinem Lehrer Kurt Robbel und
dessen linear-plastischen Malstil, den Begegnungen als
Meisterschüler der Akademie der Künste mit Otto Nagels
»Proletarischem Realismus« und mit dem italienischen »Realismo«
seines väterlichen Malerfreundes Gabriele Mucchi. Es sind der
frühe künstlerische Freundeskreis um seine Studienkollegen Horst
Zickelbein, Rolf Schubert und Hans Vent und das Eintauchen in
eine für die frühe DDR unvergleichliche Ostberliner Kultur- und
Kunstszene der Philosophen und Dichter, der Theater und
Schauspieler; Brechts dialektisches Theater der Verfremdung, die
poetischen Weltsichten Günter Kunerts, Sarah und Rainer Kirschs,
die Systemkritik des Liedermachers Wolf Biermann und des
Philosophen Robert Havemann, später dann Heiner Müller mit
seinem Welttheater. Paris hat das in freundschaftlicher
Verbundenheit erlebt, hat daran teilgenommen und die
Protagonisten in differenzierten Porträts charakterisiert. Das
dialektische Hinterfragen von Realität und gesellschaftlichen
Zuständen wurden da genauso angeregt, wie die Ausbildung
inszenatorischer Strukturen bildkünstlerischer Umsetzungen auf
Papier und Leinwand.
Damit begann auch ein Loslösungsprozess nach einer ersten
Periode malerischer Wegsuche aus dem sogenannten
linear-plastischen Stil seines Lehrers Kurt Robbel mit ihrer
schlichten Körpertektonik, disziplinierten Bildstrukturen und
kompositionellen Strenge, die sich in den additiven,
konstruktiv-monumentalisierenden Ordnungsgefügen der Berliner
Stadtlandschaften und Stillleben der frühen Jahre verdeutlichen.
Als Höhepunkt dieser ersten Werkphase kann wohl das
»Komplexbild« der »Dorffestspiele in Wartenberg« 1961 gelten,
dass einerseits eine Auflösung der malerischen Strenge des
Frühstils andeutet, zum anderen eine Entwicklung zum »großen
Thema«, zu vielschichtiger Wirklichkeitsinterpretation
historischer Dimension in den späteren monumentalen Wandbildern
ankündigt. Die Beschäftigung mit der Klassischen Moderne, mit
Max Beckmann und Otto Dix, Pablo Picasso und Fernand Leger fand
erste formale Verarbeitung.
Der allmähliche Wechsel zu einem freieren Malduktus, bewegteren
Bildstrukturen, expressiver Farbigkeit und einer Dynamisierung
der kompositorischen Ordnungen in häufig opulenten Bildgefügen
vollzieht sich als gewisser Durchbruch Mitte der siebziger
Jahre. Es gibt aus jener Zeit eine beachtliche Reihe von
Bildnissen, in denen die Offenlegung psychischer Strukturen und
physischer Präsenz in den Vordergrund tritt und differenzierte
malerische Entsprechungen erzeugt. Aus dem Porträtwerk ragen die
Bildnisse wissenschaftlicher und künstlerischer Persönlichkeiten
heraus, denen er als intellektueller Maler sozusagen auf
Augenhöhe begegnet: An das legendäre Porträt des Schauspielers
Ernst Busch (1972)sei hier erinnert. Paris fasst es in Posen
psychologisierender Verinnerlichung einer
vielschichtig-widersprüchlichen Persönlichkeit. Es gibt da keine
Tabus und keine Kompromisse, was im Falle des Ernst
Busch-Porträts nahezu zur Entweihung einer Ikone geriet und zu
den bekannten kulturpolitischen Querelen und wahrscheinlichen
Vernichtung des Bildes führte.
Im Focus des malerischen Schaffens von Ronald Paris aber stehen
ohne Zweifel die politischen Ereignisbilder und die großen
thematischen Kompositionen der Wandbildgestaltungen, die im
Laufe eines Dutzend von Jahren zwischen 1969 und 1982 für
Berlin, Rostock und Schwedt an der Oder entstanden. In diesen
politischen Bekenntnisbildern fasst er sein Weltbild als
komplexes Epochenbild der Menschheitsfragen: Es sind
bildnerische Unternehmungen, die die Totalität der Welt in all
ihren Widersprüchen, in geschichtlichen Zitaten und
metaphorischen Allegorien erkennbar zu machen suchen. Als
studierter Wandbildner, der Paris ja eigentlich ist, verfügt er
über alle Register der geistig-inhaltlichen wie der
kompositorischen und farblichen Verdichtung an der »besonderen
Dimension ‚Wand’«. Er entwickelt furiose monumentale Bildwelten
in einer szenisch turbulenten expressiven Malerei
Im Konnex und in der Nachfolge zu dieser Hauptgruppe seiner
Malerei entstanden Werke aktueller politischer Ereignisbilder
und Adaptionen christlicher und antiker Mythologien. 1981 malt
er die »Ermordung des Erzbischofs von San Salvador« und für das
Gewandhaus in Leipzig den »Streit zwischen Marsyas und Apollon«
als das alte Thema des Widerstreits von Gewalt und Aufbegehren,
von Macht und Kultur.
In der Folge der Antikenrezeptionen, die ursprünglich durch
Christoph Schrots »Antikenprojekt« des Schweriner Staatstheaters
Anfang der 80er Jahre angeregt wurden und dann durch Heiner
Müllers Dramatisierungen in Berlin herausfordernde Erneuerung
fanden, entstanden bis in jüngste Zeit bildnerische Adaptionen
etwa zu Sisyphos, Prometheus oder Ikarus, die die
Widersprüchlichkeit, Sinn und Widersinn antiken Heldentums als
zeitloses Menetekel vorführen. Für den Maler ein endloses Thema.
Durch das facettenreiche malerische Werk des Ronald Paris zieht
sich ein Thema in bemerkenswerter Kontinuität und
Vielgestaltigkeit: Ronald Paris ist ein Landschafter aus
Berufung. Es ist eine ursprüngliche Faszination, die ihn beim
Erleben von Natur erfasst, ein »Respekt vor der elementaren
Natur, vor ihr zu arbeiten, sie ständig zu befragen.« Sein
Landschaftswerk, ob nun vor heimatlichen Motiven oder auf Reisen
zwischen Kuba, dem mediterranen Raum oder Indien entstanden, ist
in seinen Ausprägungen und Wandlungen eingebunden in die
Hauptlinien des Gesamtwerkes, dessen Eckpunkte in seiner
malerischen Weltaneignung eindringliche Porträts und ausladende
Figurenkompositionen, thematische Bildteppiche und monumentale
Wandbilder sind. Die Bildwelt von Ronald Paris atmet politische
Geschichte, gesellschaftsbewegende Ideen und Menschheitskultur,
die die große Form, den dynamischen Gestus und einen
pathetischen Grundton implizieren. Und so sind auch die Stadt-
und Naturlandschaften, oder die maritimen Sichten auf
mediterrane, irische oder südindische Küsten nicht schlechthin
sinnliche Entdeckungen des Schönen und Außergewöhnlichen,
sondern können natur- und erdgeschichtliches, historisches und
kulturelles Ereignisbild sein, gleichermaßen getragen von
emotionaler und rationaler Verinnerlichung.
Die maritimen Landschaftsthemen und –motive verdeutlichen ein
inniges Verhältnis zur See und zum Meer, zu dem Ronald Paris
seit Kindertagen eine tief verwurzelte Beziehung hat. Es geht
ihm um »das Gefühl innerer Befreiung beim Anblick der See«. Es
durchzieht sein Werk seit den frühen sechziger Jahren mit ihren
ostdeutschen Ostseelandschaften bis zu den jüngsten Serien aus
Irland oder Indien und streift das mediterrane Europa zwischen
der Türkei und Spanien ebenso wie skandinavische und kubanische
Küsten. Diese Landschaftsmotive sind wohl »Orte der Sehnsucht«
nach dem Urerlebnis der Schöpfung und nach einer Selbstfindung
darin.
In den ersten Ostseelandschaften verbanden sich die Elemente
Land, Meer und Luft zu weiten Panoramen additiver,
monumentalisierender Tiefenstaffelungen, die später in
expressiven Farb- und Formstrukturen, dynamischen
Raumschachtelungen und bewegten Kompositionsgerüsten überführt
werden. Dramatisierte Übergänge von Land und Meer in
aufgebrochenen Schichtungen der gischtenden See bestimmen die
Szenerie, so wird er dann auch den Ägäis-Inseln und der irischen
Küste zeichnerisch und malerisch zu Leibe rücken. Die
mittelmeerischen Motive Italiens und Griechenlands sind die
Landschaften seiner antiken Helden Marsyas und Apollon, Achill,
Sisyphos und Odysseus. Das mediterrane Licht ordnet
Felsformationen und Meerblicke gleichsam zu Bühnenräumen antiker
Dramen.
Die irischen Küstenbilder dagegen sind voller urtümlicher
Sprengkraft aus eindringlicher Dramatik der Naturkräfte.
Heinrich Böll hat das als »Millionen Jahre alte Wut«
beschrieben, »die sich schon tief unter die Felsen gefressen
hat«. Im Geiste dieses literarischen Blicks des Dichters auf die
irische Insellandschaft fand der Maler seine unterkühlten
Farbkontraste und die umklammernden Formballungen von Fels und
See.
Und als wolle er den Kreis um den Globus malerisch schließen,
gibt es nun seit einigen Jahren neben den kulturträchtigen
Mittelmeerlandschaften und den Naturereignissen der irischen See
die vergleichsweise harmonisierten, paradiesisch anmutenden
Bilder aus dem südindischen Kerala, wo Ronald Paris hin und
wieder die Familie seines Sohnes besucht. Daraus erwächst eine
persönliche, nahezu intime Nähe zu Bildthemen und Malanlässen,
wenn etwa Fischer und Bootsbauer mit den exotischen Gewändern
und Turbanen vor ihren aufgelandeten Booten in harmonischen
Panoramen vor Meer und Horizont dargestellt werden. »Kerala als
Idyll, das allein durch die Farbe geprägt wird« ist das
beschrieben worden. Und das durchaus ein bestätigendes
Kompliment für den Maler.
Klaus Tiedemann |