Seit der griechischen Antike ist der menschliche Körper das
Symbol für Menschlichkeit.
Über Jahrtausende hinweg haben die Bildhauer das Geheimnis
Mensch mit ihren unterschiedlichsten Sichtweisen beleuchtet und
immer wieder neue Seiten entdeckt, sinnliche, soziale,
inhaltliche und formale.
Zuletzt aber wurden es immer weniger, die gegen Feindseligkeiten
und Banalisierungen das Bild vom Menschen in ihrer Kunst
bewahrten.
»Die edelste Beschäftigung des Menschen ist der Mensch«
(Gottfried Ephraim Lessing).
Richard Heß geht ihr nach. Zweifellos gehört er zu den
anerkannten und hervorzuhebenden Bildhauern seiner Generation,
die unbeirrt das Menschenbild in den Mittelpunkt ihres Schaffens
stellt.
Damit knüpft er an die bedeutende künstlerische Tradition der
Berliner Bildhauerschule des 19. Jahrhunderts an, die mit ihrem
Bemühen um die Gestaltung der menschlichen Figur bis in die
erste Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein wirkte.
Der Initiator und Gründungsdirektor der Berlinischen Galerie,
der Kunsthistoriker Eberhard Rothers, schrieb im Heilbronner
Katalog fast lapidar den Satz: »Richard Heß ist Realist«.
Realist ist er, weil er am Abbild des menschlichen Körpers
festhält, Realist ist er aber auch insbesondere deswegen, weil
er den Menschen in seinen vielschichtigen biologischen und
sozialen Bindungen sieht.
Sein zentrales Thema ist die Darstellung von Gewalt und deren
Wirkung auf die menschliche Existenz. Meist wählt er dafür
alltägliche Situationen, die er versteht, durch die
Eindringlichkeit der Formulierung zum beeindruckenden Mahnmal
werden zu lassen. Gewalt und Aggression, Schwäche, Hilflosigkeit
und Unterdrückung bewegen Heß immer wieder. »Stürzender« (2007),
»Gefesselte« (1999), »Einsamer Trinker« (1993) »Frau im
Rollstuhl« (1991) zeigen in der Ausstellung die
Vielschichtigkeit menschlicher Zustände und appellieren an die
Sympathie des Betrachters. Beiläufige visuelle Eindrücke sind
zuweilen Ausgangspunkt seines Fabulierens.
Neben dem Widerwärtigen nimmt er aber auch das Genießbare wahr:
weibliche Figuren beeindruckender körperlicher Sinnlichkeit
lösen die Aufgeregtheit früherer Jahre ab. Er schöpft nun aus
den über Jahrzehnte gesammelten Erfahrungen des Sehens und
Gestaltens.
Die Sujets an sich sind eher lapidar: »Liegende V« (2003),
»Sitzende IV« (2007), »Badende VI« (2003), »Frau mit Rabe«
(2007), »Figur mit Früchten« (2005), »Im Wasser« (2005),
»Weibliche Halbfigur« ( 2002) sind Titel seiner Figuren. In
Wahrheit aber sind sie Variationen wohlgeformter weiblicher
Leiber. Richard Heß ist ein Meister der von innen nach außen
drängenden Plastizität.
Die Umrisse sind straff gespannte Bögen, spannungsgeladene
Kurven als Ausdruck innerer Lebenskraft, aber auch als Ausdruck
einer wunderbaren Erotik.
Seine weiblichen Akte stehen als sehr lebendige Ideale neben den
Geschundenen. Angesichts der Schönheit des Menschen wird das
Leid größer und das Leben wird bewahrenswerter angesichts des
Todes. Beide Seiten prägen das Werk von Richard Heß.
1937 wurde er in Berlin geboren, er war Meisterschüler bei
Bernhard Heiliger, Assistent bei Jürgen Weber und Waldemar
Grzimek, bis er selbst zum Professor berufen wurde.
Während des Studiums schon beeindruckten ihn zutiefst Werke von
Marini, Manzú, Minguzzi, Marscherini, Morandi und Cottuso. So
wuchs bald eine innigliche Beziehung zu italienischen Künstlern,
aber auch zu dem Land selbst, seinen Menschen und insbesondere
seiner Kultur. Die Italienerinnen bewundert er. Seine
regelmäßigen Aufenthalte in Italien vertiefen seine Beziehungen
zur Kunst der Antike und der Renaissance sowie zu den
italienischen Bildhauern der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts
immer wieder aufs Neue. Auch hier steht er in der Tradition
Berliner Bildhauerkunst, deren Sehnsucht sich seit dem Barock
auf Italien konzentrierte und von Paris relativ unbeeinflusst
blieb.
In den achtziger Jahren wird er selbst als Bildhauer in Italien
bekannt, hat dort in verschiedenen Städten Ausstellungen, 1995
sogar innerhalb des italienischen Beitrages auf der Biennale von
Venedig. Viele Italiener leben heute mit seinen Plastiken.
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