Leseprobe
Berndt Wilde: Gedanken zur Ausstellung von Sarah Esser
Zeichnung - Relief - Plastik - das gab es schon immer höre ich
die Spötter sagen.
Natürlich gab es das schon immer, ich denke, diese Kategorien
wird es auch weiter geben.
Aber was sehe ich? Und was sehen Sie und was erleben Sie wenn
sie durch diese Ausstellung gehen?
Das ist das eigentlich Spannende an der Kunst!
Sarah Esser ist für mich außergewöhnlich und das vom ersten Tag
unserer Begegnung an. Als ich sie das erste Mal zeichnen sah,
war ich schon erstaunt, wie konzentriert, angeregt aber auch
messend sie an das Zeichnen heranging. Das war vor acht Jahren.
Sie fiel mir durch ihre Art und Weise des Suchens auf. Auch
heute scheint ihr der einfachste Anlass zu genügen, eine
Zeichnung oder eine Skizze anzufertigen, sei es die Situation
eines Aktmodels im Raum oder das Zusammenstehen von wartenden
Menschen auf der Straße oder im S-Bahnhof.
Das Thema der Zeichnungen ist auch ihr Inhalt. Diese sind
natürlich in jedem Falle eigenständige Arbeiten, aber was daran
wirklich besonders ist - sie sind auch Material für Reliefs und
Plastiken, die sich aus vielen, ganz verschiedenen einzelnen
Blättern zusammensetzen.
Eine Skizze kann Ausgangsmaterial für eine plastische Idee sein.
Mit Hilfe neuer Zeichnungen wird diese intensiv weiter gedacht
und dann plastisch umgesetzt - also geformt. Den Ausdruck für
eine Figur formuliert die Künstlerin auf dem Papier immer
vorsichtig suchend - im Prozess erst entstehend. Die anscheinend
schnell skizzierten Blätter sind in Wirklichkeit schwer
erarbeitete, wohl überlegte Zeichnungen. Auch Reliefs und
Plastiken entstehen in einem engen Zusammenhang zu diesen
Blättern.
Das Relief, eher der Schrift verwandt, wie Hans Wimmer meinte,
weil es von links oder rechts oder auch von oben und unten her
zu lesen sei, ist ein Bindeglied in Sarah Essers bildhauerischer
Arbeit. Der Satz von Wimmer trifft geradezu in idealer Weise auf
die Arbeit mit dem Titel »42 Grad Celsius« zu. Im absolut auf
das Wesentliche reduzierten Relief wird eine Geschichte erzählt.
Im Format ist es ein hohes Rechteck, nur wenig Volumen tritt aus
der Fläche hervor und spannt die gesamte Fläche aus. Nicht nur
durch den weißen Gips, sondern auch durch die Bewegung auf der
Fläche, wird ein Eindruck von Leichtigkeit erzeugt. Essers
Plastiken ahmen nicht nach, weder eine Geste, noch den Menschen
oder die Natur. Oft werden ganz banale Vorgänge, wie
Körperhaltung, Bewegung oder auch Begegnungen zwischen Menschen
zum Anlass genommen, um das Gesehene zu einem Kunstgebilde
werden zu lassen.
Eine Plastik ist immer eine Erfindung der Künstlerin. Ihr Raum
ist nicht leer, sie gliedert ihn, schafft Rhythmen in dem
Volumen und mit ihm, schiebt Dinge zusammen, verkürzt sie und
bildet im besten Sinne ein klare Form, die auch mit dem Licht
auf der Oberfläche gezielt umgeht. In den Plastiken geht Sarah
Esser mit der Masse im positiven wie auch im negativen Raum klar
formulierend um und bringt dadurch Kraft und Stabilität in die
Kunstwerke. Zu ihrem Inhalt gehört vor allem der Ausdruck, den
der Betrachter in feiner, sinnlicher oft sehr stiller Form
erleben kann. Voraussetzung dafür ist eine verfeinerte
Wahrnehmung.
Es sind sensibel empfundene, trotzdem nicht schüchtern
vorgetragene Plastiken, die die Vitalität der Künstlerin
widerspiegeln. Ein steter Dialog mit der Natur im klassischen
Sinne, hat ihr einen eigenständigen Blick auf die Wirklichkeit
ermöglicht und im bildhauerischen Sinne zu einer künstlerischen
Freiheit geführt. Ihre Spontaneität und Nachdenklichkeit ist
dabei in dem Arbeitsprozess nicht verloren gegangen. |