Ein Gerücht geht um in Europa, das Gerücht vom kommenden Boom der Skulptur auf
dem Kunstmarkt. Medien bemühen sich, diesen aufzuspüren und zu beschreiben. Die
jüngste Frankfurter Kunstmesse widmete der Skulptur die gesamte Halle, löste die
traditionellen Messestände auf und stellte die unterschiedlichsten
dreidimensionalen Gebilde miteinander und gegeneinander in den ungegliederten
Raum.
Die gezeigten dreidimensionalen Gebilde schlossen alles ein, was nicht in der
Fläche beharrt, Objekte, Design, Installationen usw., die Skulptur wird in der
Breite aufgefächert, weniger in der Tiefe ausgelotet. Kunstwissenschaftlich ist
der Begriff der Skulptur eigentlich klar definiert als eine Plastik, die aus
einem Material herausgearbeitet wird, im Gegensatz zum Aufbau aus formbarem
Material. Schon deshalb ist das Gerücht vom kommenden Boom der Skulptur äußerst
unscharf.
Wenn die Galerie am Gendarmenmarkt den fünften Todestag des Bildhauers und
Zeichners Joachim Dunkel als Anlass nimmt, eines der bedeutendsten plastischen
?uvres des zwanzigsten Jahrhunderts in Deutschland zu zeigen, dann geht es ihr
weniger darum, dem prophezeiten Boom der Skulptur zu folgen, sondern eher auf
eine Vertiefung des Umganges mit Plastik zu verweisen, im Besonderen mit
figürlicher Plastik, in Reibung und Disput mit dem Geist unserer Zeit,
beschränkt aber auf die spannungsvolle Auseinandersetzung von Körper und Raum,
sich abgrenzend von allen Versuchen des effektvollen künstlerischen Drängens in
die Dreidimensionalität. So reiht sich die Ausstellung des Werkes von Joachim
Dunkel ein in das kontinuierliche Bemühen der Galerie um die Skulptur, und in
deren Bestände mit Werken von Waldemar Grzimek, Fritz Cremer, Gerhard Marcks,
Ludwig Kasper, René Graetz, Wieland Förster, Sabina Grzimek, Waldemar Otto,
Richard Heß und anderen.
Joachim Dunkels Figuren sind gewachsene plastische Gebilde aus Materialien, die
zwischen flüssig und fest mutieren, somit etwas Relatives, nichts Endgültiges
beschreiben. Gips, Wachs, Ton lassen Wechsel und Metamorphosen zu. Das
Statuarische wird nie beherrschend, bleibt temporäre Verfestigung, vergänglich,
nie monumental.
Wie Ausgeburten des Augenblicks erheben sich seine Figuren poetisch über sich
hinausweisend, immun gegen jede leere Pose. Sie sind Ausdruck immaterieller
seelischer Dynamik im Wechselspiel zwischen innerer und äußerer Welt.
Das Figürliche ist für Joachim Dunkel immer das zwingende Thema geblieben. Die
weibliche Form, äußerlich ruhend und innerlich bewegt, hat sie im Dunkelschen
Werk eine zentrale Bedeutung. Das raumgreifende, eher männliche Element
erscheint dagegen eher in den grafischen Blättern, die von Spielen, Kämpfen und
Eroberungen künden. Wie in der Plastik reißt Dunkel auch in der Zeichnung die
Geschlossenheit auf.
Rhythmisch gestaffelte Bündelungen von Linien, fortlaufende Bewegungen und
fließende Übergänge schaffen einen kontinuierlichen Energiefluss.
Die Zeichnung behielt für Dunkel immer eine große Bedeutung, als Notiz, als
Kompositionsidee, als Bewegungsstudie oder in zahlreichen grafischen Zyklen zur
griechischen Mythologie.
Triebhafte Dynamik indessen verkörpert in Joachim Dunkels Werk das Tier. Allein
und im Zusammenspiel mit dem Menschen schafft es einen Ausdruck animalischer
Kraft und Gewalt. Der Minotaurus ist allgegenwärtig und Pferde bzw.
Reiterstatuen sind eindrucksvolle Bilder des Existenzkampfes.
Dunkels Figuren reizen nicht zum Anfassen. Die aufgerissenen Oberflächen
schaffen Distanz und einen schmerzlichen Zug. Schaffen und Zerstören sind zwei
Seiten des gleichen künstlerischen Prozesses, der den Körper überwindet und die
Form schafft, auf den inneren Kern zielend.
Spröde introvertiert sind sie, nicht anklagend, schon gar nicht sozialkritisch.
Joachim Dunkel hat nie zu politischen Kunstströmungen seiner Zeit Stellung
genommen, er blieb immer ein Einzelgänger und hat sich der Appelle enthalten.
Die künstlerische Form war ihm immer das Wichtigste, doch Form ist eben auch
eine ethische Kategorie und die Figuren Dunkels bilden einen spezifischen
Beitrag zur Diskussion über den Zustand unserer Gesellschaft, bei der ein
Defizit an Humanität schwerlich zu übersehen und demzufolge Zukunftsangst an der
Tagesordnung ist.
In Deutschland und – besonders seit Gottfried Schadow – auch in Berlin gibt es
eine wunderbare Tradition der Skulptur. Sie hat es nicht nötig, in die Breite
aufgefächert und über die Gattungsgrenzen hinweg verwaschen zu werden. Einen
neuen Boom vorherzusagen ist vielleicht ein kunsthändlerischer umsatzsteigernder
Trick. Sich der Skulptur verpflichtet zu fühlen, bedarf eher der Erinnerung
solcher besonderen Werke des zwanzigsten Jahrhunderts, worauf die Galerie am
Gendarmenmarkt mit der angekündigten Ausstellung zielt.
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