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Dr. Helmut Börsch-Supan: Rede
zur Eröffnung der Ausstellung
Sie alle kennen das Knobel-Spiel von Stein, Papier und Schere. Papier
wickelt den Stein ein. Der Stein schleift die Schere, die Schere
schneidet das Papier. Wer dieses Spiel erfunden hat, wissen wir nicht,
vielleicht Knobelsdorff? Vielleicht war es auch Christo, der lieber
einwickelt statt entwickelt.
Jedenfalls wickelt das Papier den Stein ein; man könnte auch sagen:
die Bronze oder die Terracotta. Heißt das, daß die Leute, die Papier
beschreiben, den Bildhauer einwickeln? Und sind Bildhauer
Scharfmacher, weil der Stein die Schere schleift? Seit
Kinderbuchzeiten, seit dem Struwelpeter, ist die Schere negativ
besetzt, und heute verbinden wir mit der Schere den Finanzsenator, der
überall kürzt, für Kahlschlag sorgt und im Kulturleben die Glatze
statt der Struwelpeterfrisur als Ideal anpreist. Doch werden
diejenigen, die beschriebenes oder bedrucktes Papier produzieren, von
der Schere weniger heimgesucht als die Theater und Orchester. Nein,
die Bildhauer sind keine Scharfmacher. Und ich will auch nicht mit
meinem Papier Richard Heß einwickeln; da müßte ich schon einen sehr
großen Bogen nehmen. Heute will ich vielmehr auspacken, enthüllen,
allerdings nicht in der Manier der Bildzeitung. Es geht um das
Auspacken, das man mit Geburtstag assoziiert. Der Anlaß für diese
Ausstellung ist ja ein Geburtstag, ein fünfunfsechzigster, der in
drei Wochen gefeiert wird. 65 sind dreizehnmal fünf, und die Dreizehn
ist in Italien, das habe ich kürzlich von Richard Heß gelernt, eine
Glückszahl. Wozu soll man eigentlich noch Glück wünschen, wenn es
schon da ist?
Das Glück besteht natürlich in seiner Frau Ilka, aber vor allem -
und darum geht es heute Abend, Frau Heß möge mir verzeihen - in der
Lust des Schaffens. Jeder Schöpfer von Kunstwerken ist ein kleiner
Gott. Was man Richard Heß wünschen muß, ist alles, was die
Schaffenskraft erhält. Das ist in erster Linie die Gesundheit.
Stände Heß nicht mit einem Bein in Italien - nur große Leute
schaffen den Spagat über die Alpen - wäre das mit dem Glück viel
zweifelhafter. Viele, die in Berlin leben, brauchen eine zweite
Heimat.
Vielleicht paßt zur landläufigen Vorstellung vom Künstler das
Dur-Gestimmte nicht so gut. Interessanter ist der tragische Titan, der
uns als Zuschauer an einem Seelendrama teilnehmen läßt. Heß ist
kein Van Gogh-Typ.
Es fällt mir auf, daß Heß in seinen Skulpturen nicht von sich
selbst erzählt. Gewiß, es sind seine Emotionen, die aus den
Skulpturen, die für ihn seine Kinder sind, zu uns sprechen:
Zuneigung, Empörung, Mitgefühl, das sie in uns wecken, sind der
Reflex seiner Zuneigung, seiner Empörung und seines Mitgefühls, aber
er selbst bleibt innerhalb dieser Bewegungen wie ein ruhender Pol. Es
fiele mir schwer, so etwas wie eine innere Biographie neben dem
Wachstums- und Reifeprozeß aus seinem Werk herauszulesen. Ich kenne
kein Selbstbildnis. Das liegt vielleicht an meiner Unkenntnis. Wenn
die Skulpturen seine Kinder sind, er also der Vater ist, so ist er ein
liberaler, keiner, der sich über sie hinwegsetzt und in den
Vordergrund drängt.
Das erklärt vielleicht auch den Umstand, daß seine Werke im
öffentlichen Raum gut funktionieren. So sehr sie einen Ort
akzentuieren, sie ordnen sich doch in die Umgebung ein, und stehen
nicht als Denkmale ihres Schöpfers da. Darin liegt ein demokratischer
Grundzug, der hoch zu bewerten ist. Mich beschleicht immer öfter der
Gedanke, daß heimlich-unheimliche Sehnsüchte nach einer Diktatur,
die alles durch Machthaber, unter Umständen auch brutal, regelt, sich
im heutigen Kunstbetrieb mit seinem Starkult ausleben. Was unsere
Gesellschaft vor allem benötigt, so will mir scheinen, ist
Menschlichkeit, die in großen Höhen mit verdünnter Luft so schwer
gedeiht.
Was mich an den öffentlichen Kulturdebatten in Berlin so sehr
verstört, ist der Umstand, daß nur über Geld geredet wird. Es ist
wie bei einem Fußballklub. Wenn Geld da ist, kann man prominente
Spieler einkaufen, und dann floriert der Verein wie ein
Wirtschaftsunternehmen. Quellen sind nur Geldquellen. Daß das Innere
des Menschen die eigentliche Quelle seiner Kultur ist, daß aus der
Vielzahl dieser Quellen ständig unermeßliche Ströme von gutem
Willen kostenlos fließen, wenn man sie nicht versiegen läßt, wird
gar nicht mehr wahrgenommen, obwohl das soziale Netz von all den
Vielen, auch den Künstlern, geknüpft wird, die aus dem Impuls des
Wirkenwollens ihre Stabilität als Person beziehen.
Menschen und Menschlichkeit einschließlich des Allzumenschlichen sind
das unerschöpfliche Thema der Bildhauerkunst von Richard Heß. Er
bringt keine aufgesockelten Idealgestalten hervor, die man sich zum
Vorbild nehmen kann, wie das bei klassischer Skulptur der Fall ist,
sondern Bilder von Existenzen mit ihren manchmal größeren, manchmal
geringeren Defiziten, die es uns manchmal leicht, manchmal schwer
machen, Sympathie zu entwickeln. Sympathie ist der wirksamste Kitt der
Gesellschaft. Alles, was den Anspruch des Heldischen erhebt, wird mit
einem Fragezeichen versehen, so etwa der David, der den Goliath
bezwingt. Aber auch die Opfer, die er zusammengekrümmt am Boden
liegend gebildet hat, sind nicht automatisch verehrungswürdige
Märtyrer, sie sind Geschlagene, die unser Gewissen aufrütteln
sollten.
Jeder, der mahnt - und Mahnungen durch dreidimensionale tonnenschwere
Skulptur beansprucht mehr moralisches Gewicht als eine Zeichnung -
läuft Gefahr, sich ins Abseits zu manövrieren, wenn er
gezwungenermaßen seine Mahnung wiederholt. Last wird lästig. Heß
hält keine Kapuzinerpredigten, er hat, so denke ich, dieses Problem
gemeistert, indem er seine Menschenbilder breit gefächert hat. Frauen
haben bei ihm keine Quotenängste und viele von ihnen sind von ihm mit
mehr als nur Sympathie modelliert. Modellieren ist etwas anderes als
Meißeln. Beim Modellieren kommt die Hand mit dem Material direkter in
Berührung als wenn der Schlegel auf den Meißel schlägt. Die
Oberflächen mit ihren Unregelmäßigkeiten sind wichtig. Da sind
Zärtlichkeit, Behutsamkeit bei der Wundbehandlung, aber auch
kräftiges Zupacken zu bemerken, eine breite Skala von Möglichkeiten
der Berührung. Berührungsängste kennt der Künstler nicht. Das
entspricht dem Spektrum der Themen.
Die Ausstellung versammelt Arbeiten aus vier Jahrzehnten. Sie beginnt
mit den späten sechziger Jahren, die im Westen eine Zeit des
Aufbrechens im Sinne eines Aufbrechens von Verkrustungen, aber auch
von Wunden und eines Aufbrechens zu neuen Zielen waren. Die
Verwerfungen dieser Zeit wirken bis heute nach, die Gräben sind
zugeschüttet, aber das Terrain ist noch nicht zur Ruhe gekommen.
Bedenken Sie nur, welche Entwicklung unser Außenminister vollzogen
hat. All diese wirkt auch im Werk von Richard Heß nach, denn er ist
ein politisch denkender Künstler. Ihm ist die Polis, der Staat also,
nicht gleichgültig.
Gewalt ist in seinem Werk ein zentrales Thema, das im Laufe der Zeit
immer differenzierter gesehen und behandelt wird. Denn es gibt nicht
nur die Gewalt der Schläger. Gewalt liegt auch in der Expansionskraft
des Lebens, das anderes zu verdrängen sucht, in der Plastizität der
schwellenden Körper. Auch der Künstler übt auf seine Weise eine
Gewalt aus. Es ist nicht so einfach, sich von ihr zu distanzieren.
Heß beobachtet sehr genau, zum Beispiel verlockende weibliche
Rundungen. Eros ist eine Gewalt. Aber er sieht auch das Fett, wie es
beispielsweise bei einem Männerbauch über den Hosenbund quillt.
Darüber kann man lachen. Der Künstler provoziert dieses Lachen, aber
es wird niemals böse, und es führt auch nicht dazu, daß der
Betrachter sich über den Dargestellten erhebt und das genießt -
weder ätzender und hetzender George Grosz noch pharisäerhafter
Eduard Grützner. Die Menschen bleiben immer unsere Mitmenschen. Das
ist die humane Botschaft dieser Kunst. Sie schärft den Blick für
unsere Umgebung. Insofern ist der Bildhauer doch ein Scharfmacher.
Unsere Augen sind die Schere, die das mit Phrasen bedruckte Papier
zerschneiden.
Gestatten Sie mir noch drei Bemerkungen speziell zu dieser
Ausstellung. Man sieht hier auch Zeichnungen, die der Künstler sonst
eher versteckt. Es ist schön, diesen Blick in die Werkstatt tun zu
können.
Die zweite Bemerkung betrifft das Arrangement. Es ist das Werk des
Galeristen Dr. Karger, der die Skulpturen und Zeichnungen so geordnet
hat, daß auch zeitlich weit voneinander Entferntes in spannungsvolle
Beziehung tritt. Es wird nicht ein Wandel in der Entwicklung über
Jahrzehnte vorgestellt, sondern das Gleichbleibende im Schaffen, die
Treue gegen sich selbst. Damit ist etwas Wesentliches in der
Persönlichkeit erfaßt. Die Folge der nicht sehr großen zum Teil
gestreckten Räume, die sich zu einem Gang formieren, gibt der Galerie
am Wasserturm etwas von einer Galerie im ursprünglichen Sinn. Das ist
geschickt genutzt.
Und drittens sei das private Engagement des Galeristen gewürdigt.
Ohne die Vielzahl der Galerien wäre die Berliner Kunstszene tot, denn
die öffentliche Hand ballt sich immer mehr zur zerschmetternden Faust
zusammen. Es wird nicht wahrgenommen, welches Kapital in den
Wachstums- und Lebenskräften der Kunst steckt. Zwar wird darüber
geredet, das Gerede schlägt sich aber nicht in einem Handeln nieder.
Das muß nicht gleich Subvention heißen und kann es auch zur Zeit
nicht heißen. Es würde aber schon viel helfen, wenn die Museen
zeigen, was sie haben und der gute Wille sichtbar würde.
Abschrift
vom Originalmanuskript des Redners
® Dr. Helmut Börsch-Supan
und Galerie am Wasserturm, Berlin
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