Sehr verehrte Gäste, liebe Kerstin Seltmann,
lieber Michael Schoenholtz, lieber Karger,
der deutsche Philosoph Emanuel Kant muß diese Ausstellung im Blick gehabt
haben, als er über die Prämissen des ästhetischen Genusses schlechthin
nachgedacht hat, wonach es um das "interesselose Schauen" geht.
Nicht – um einen Irrtum vorzubeugen – nicht um das Schauen ohne
Interesse; sondern um jene Situation, die sozusagen die Faszination an
sich meint, sich ausschließlich und mit allen Sinnen auf die Gestalt ,
derer man ansichtig wird zu konzentrieren: Frei von der Dominanz einer
unmittelbaren Zweckgerichtetheit! Sehen und staunen.
Genuß der reinsten Art.
So ging es mir, als ich diese Ausstellung hier zum ersten Mal betreten
haben. Ich war gefaßt auf eine hochinteressante, schöne und kontroverse
Schau – weil ich die Kunst von Seltmann und Schoenholtz eh sehr verehre.
Aber ich war nicht gefaßt auf die überwältigende Wirkung, die von den
Bildern und Zeichen aus direkt auf die eigene Wahrnehmung trifft. Die
Räume sind gefangen in jener schwerwiegenden Atmosphäre, die eine
Andacht anbahnt, der man schlicht ausgeliefert ist, die aufnehmen läßt
um sich alsbald wieder zu versenken.
Blau scheint auf: ist Nacht oder Quarz, Himmel oder Abgrund, aus weiter
Ferne schon bereits am Eingang zu dieser Ausstellung ist die Berührung zu
spüren, steigert sich zu einer Anziehung der man unbedingt folgt. Das
schöne ist, daß man sich die Zeit für den Weg dorthin nimmt; vorbei an
Zeichnungen von Kerstin Seltmann, die in ihrer Kostbarkeit einen Reichtum
verschwenden, den es nur eigentlich in unseren Träumen gibt. Kleine
Malereien sind das, die ihre Dimensionen aus Spaß minimiert haben. Die
Steine von Michael Schoenholtz markieren Einkehr, seinen ihr Wissen
verschlossen zu haben und verströmen von dort aus eine Kraft um sich
herum, die sich unseren Respekt nimmt – einfach so. Tief drinnen – in
der Mitte seiner Skulpturen – so beginnen wir zu begreifen – ist
Unterbewußtes aufgehoben. Sie werden zu Zeichen, die ihren Ernst so
meinen.
Michael Schoenholtz, 1937 in Duisburg geboren, ist seit 1971 Professor
für Bildhauerei an der Hochschule/Universität für Bildende Künste in
Berlin.
Kerstin Seltmann, 1961 in Berlin-Lichtenberg geboren, ist seit 1983 freie
Malerin.
Zwei Welten, zwei Kunstwelten stehen sich in höchst eigener Autonomie –
quasi in komplimentärer Aura gegenüber.
Im Grunde kann man davon ausgehen, daß sich deshalb naturgemäß die
Tangenten so ohne weiteres nicht zulassen.
Aber – sie sind präzise gewählt. Die konzentrierten Berührungspunkte,
die zunächst nur einen subtilen Dialog miteinander eingegangen sind,
haben sich unversehens aus dem "Gegenüber" gelöst, greifen
ineinander und tragen – völlig ungeahnt – eine deutlich ähnliche
Botschaft in sich, die in der Ausstellung zu einer Balance findet, die nur
in den spannungsreichen Harmonien der ganz großen Meister vorkommt.
Jede der beiden Künstler ist viel zu sehr Idealist, als daß sich ihre
Kunst eine Richtung zuordnen ließe. Grenzgänger, bei denen die Bilder,
die Figuren, aus zutiefst organischer Herkunft kommen. Nur haben sie sich
halt in je unterschiedlicher Richtung gewandelt.
Einfühlung und Abstraktion richten ihr Maß nach eigenem mentalen
Temperament. Man könnte fast von einer reziproken also umgekehrte
Abstraktion sprechen, die von Innen nach Außen vor sich geht – wie in
der Malerei von Kerstin Seltmann: Schicht für Schicht, zerstört, wieder
übermalt, ans Kreuz genagelt wieder neu aufgebaut.
Der Kern der Schoenholtzschen Arbeiten liegt in der Mitte, als ein von
vornherein so angelegtes Zeichen. Einzig die Oberfläche bietet in ihrer
Lebendigkeit in ihrer Durchlässigkeit Zugang – wird selbst zur Form,
die ins Innere weist und dringt. Das Prinzip des Bauens ist beiden
Künstlern nahe; der geistige Aspekt, die Leidenschaft am künstlerischen
Tun: "Handeln erscheint mir wichtiger als träumen." schreibt
Germain Richier.
Schoenholtz Zuneigung zu Gesetzlichkeit, das ausgesprochen klassische
Bewußtsein mit Masse und Volumen ihre Dreidimensionalität zu feiern –
lassen seine Steine: Marmor, Muschelkalk, Sandstein schwer wiegen in einer
Art vierten Dimension. Transparenz wird nicht geduldet, Bewegtheit als
mögliche Bildhauerische Illusion ist tabu.
Seine Skulpturen stiften seine Stille, sie in ihrer Gewalt ebenso
beunruhigt, wie sie uns zur Ruhe kommen läßt.
Sie sind wie die Elemente dieser Welt: geheimnisvoll, ungestüm,
souverän. Sie sind wahr in ihrer empfindlich irritierenden Asymmetrie.
Und sinnlich durch die Unpoliertheit ihrer Oberflächen. Letztlich sind
sie von dieser Art Zeichen, die nie jung waren und die nicht alt werden
können. Sie haben keine Zeitlichkeit und sie haben die Gewißheit, daß
sie bleiben werden.
Ihre Teilung, Ihre Einteilung geben sie sich selbst vor – nicht etwa der
Zufall oder das Begehren eines Außenstehenden. Fügung nennt man das.
Eins ins Andere. Den Halt gibt die eigene Mitte.
Unabhängig, ob das ganze fest zusammenhält oder sich in Einzelnes
auseinander nehmen läßt: Man wagt nicht zu probieren, ob da wohl was
wackelt – Kann sein Du wirst dafür auf der Stelle vom Blitz erschlagen.
Schoenholtz richtet sich nach ganz alten Gesetzen: Es sagt: Da bin ich auf
der sicheren Seite. Den goldenen Schnitt zum Beispiel nimmt er für sich
und leitet daraus die eigenen Gewichtungen ab: eine geladene musikalische
Stimmigkeit, die die Dissonanzen ebenso hütet – wie zügelt.
Der Anteil des Lebendigen – wann man so will – das Kreatürliche
hingegen ist in den Bildern von Kerstin Seltmann von entscheidender
Bedeutung: erlebt, behutsam konturiert, umgewertet, zerstört - bis auf
einer anderen Ebene der gemachte Fund eine neue Dimension erfahren kann.
Diese Klärung führt zu jener beunruhigenden Dramatik, die sich
unversehens in Melancholie wandelt; hybride Ansätze zelebriert, um sie im
nächsten Moment als Farbinsel oder Detail im Bild zu verselbständigen.
Ihre Bild-Stücke sind von der Form her nicht kämpferisch auch nicht
barock. Sie wirken manchmal gefährlich in ihrer Zurückgenommenheit; und
im nächsten Moment so gefährdet, daß sie im Bild selbst geschätzt
werden müssen. Umformen entstehen. Läßt man sich ein auf die
zwiespältige Gefühlsebene, verspricht die Augenreise den Blick auf im
innersten Verborgenes. Nur erweist sich die vorgebliche Transparenz als
Täuschung. Uns bleibt die Umkreisung. Der Zugang zum Intimen ist
verstellt; ist tabu.
Mit zarter aber konsequenter Akribie, mit kühlem Kalkweiß ist der
Einblick zugesponnen, abgeschottet – zumindest verhüllt. Farbe glüht
auf. Die Prinzipien von Kerstin Seltmann sind nicht homogen, wie z.B. bei
Schoenholtz. Sie unterwerfen sich einzig dem Ansinnen der Künstlerin und
das kann sich ändern, wie ihre Geschichten, die sie findet. Allein in
ihren tiefen, vielfachen geschichteten Malgründen scheint ebenso wie bei
Schoenholtz Unterbewußtes auf; Leben und Tod. Mann und Frau, Erde. Die
großen Wörter, vor denen man immer ein wenig scheu hat, gehören hier
her. Tiefes Grün wird begleitet und damit gemildert vom Weiß, Rot als
potentielle Gefährtin, ein Auge, ein Insekt, ein Bein; Blutkreislauf,
Wiederbelebung oder Lethargie. Die gebaute Harmonie ist nie bereit ihren
Anspruch einzulösen. Der Friede im Bild ist aussichtslos, bis der große
Atem ihrer gemalten Infragestellungen zur beruhigten Gewißheit finden.
Hier in diesem Raum sind wir endlich angekommen. Angekommen ist präzise.
Und man hat damit zu tun, die eigene Gefühlslage zu klären.
Es ist schon eigenartig in welchem Maße Kunst zugleich verunsichert und
beruhigt. Dieses Gefühl der Weihe: die Konfrontation mit gleich allen
Wahrheiten dieser Welt aller Freude und aller Trauer: ist fremd.
Abwehr scheint auf, denn es paßt so gar nicht in diese Zeit der Moden und
der ganz groben Späße und Lacher um uns herum.
Und nichts enthebt uns dieser ungewohnten Andacht – vor dem Bild das so
Pieta wird vor dem Zeichen das zum Denkmal wird.
Es gibt kein Entrinnen aus diesem klerikalen Raum. Es bleibt nur die
Möglichkeit sich einzulassen.
Und wenn man den Mut hat, sich dieser Kunst zu nähern, könnte das ein
Weg sein, wider zu Kraft und Widerstand also zu sich selbst zukommen. Ich
wünsche allen viel Glück dabei.
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